Sonntag, 16. November 2008

Besser-Wisser vs. Wichtig-Macher

Beste Eine,
herzlich willkommen zu einem neuen Medley an Absurditäten aus der Medienwelt, die sich mir im Laufe der Woche aufdrängten und nun mit hanebüchenen Übergängen aneinandergereiht präsentiert werden.
Beginnen wir mit einem Text, den ich nur zu gerne selbst geschrieben hätte, nachdem der alte Mann seinen Preis partout nicht annehmen wollte:

"Heute ist die Rolle der Alten zu einer schweren Störung des öffentlichen Lebens geworden. Ihre Erfahrung kann nichts mehr nützen, und ihre durch das Alter bedingte Unfähigkeit, die neue Zeit zu verstehen, schadet unendlich... Junge Kräfte brauchen wir überall an der Spitze mit jungen Gehirnen und modernen Begriffen statt der feierlichen alten Herren mit ihren vorsintflutigen Anschauungen.
Darum fort mit den Redensarten von Verdienst und Dankbarkeit, Es ist eine ganz falsche Dankbarkeit, verdiente Mäner so lange auf ihren Ehrenposten zu erhalten, bis sie ihre alten Verdienste durch neue Thornheiten ausgelöscht haben."

Erschienen ist der Text 1898 in der Berliner Morgenpost, die damals noch Ullstein gehörte und somit gut gefunden werden durfte, und ich bewundere die Weitsichtigkeit, mit der der Autor schon damals das Problem erkannte, das es heute unmöglich macht, Nachrichten ins Internet zu bringen. Schließlich lässt es sich nicht anders als durch Print- und Fernseh-verdorbene Journalisten erklären, dass das erfolgreichste deutsche Nachrichtenportal so aussieht. Wer Angst um seine Printausgabe hat, sollte sich bitte fern halten von Internet; und wer Internetnachrichten machen möchte, sollte sich im Gegenzug nicht unbedingt vom ältesten Journalisten der Welt beraten lassen.
Womit ich beim seit einigen Tagen zur Unkenntlichkeit gerelaunchten Neuigkeiten-Moloch namens zoomer.de gelandet bin, das "Du entscheidest, was wichtig ist" für einen guten Nachrichten-Slogan hält. Die Geschichte der Journalisten als Gatekeeper ist ja auch anmaßend, und wer will in Zeiten der Wirtschaftskrise auch schon etwas über den Finanzgipfel in Washington lesen, wenn man sich über die Möglichkeiten informieren kann, kostenlose US-Fernsehserien zu konsumieren? 24 Top-Nachrichten zum Totscrollen auf der Startseite, verwirrend durchsetzt mit Fotostrecken und Lesermeinungen, da hätte allein ein Blick auf das Seniorenhandy Herrn Wickert eines besseren belehren sollen: Übersicht ist der Anfang von allem.
Etwas besser macht es das Ende Oktober neu gestartete news.de der von Leipziger Studenten gegründeten Internetfirma Unister Media, die sich bisher mit Portalen wie ab-in-den-Uraub.de oder geld.de, die ich hier mit voller Absicht nicht verlinkt habe, im Internet breitgemacht hat. Vom gleichen farbenblinden Syästhetiker wie zoomer.de ließ man sich zwar die Farbkombination grün-grau aufschwatzen, dafür entschloss man sich im Gegensatz zur Konkurrenz, die Überschriften etwas kleiner zu lassen als die Bilder, was immerhin geordneter aussieht. Leider verwechselt man sich in Leizig jedoch mit der taz und hält Headlines wie "Der Tod steht Ben Becker gut", Wayne Carpendales Doktorspiele oder Eletro-Mini soll USA durchstromern für angemessen, aber das wäre immerhin auch im Print ein Problem. "Werden sie Besser-Wisser" als Slogan sowie das Fehlen von Blogs und einer Leser-Community lassen jedoch auch hier vermuten, dass man sich noch nicht recht informiert hat, was das Internet eigentlich zu so einem schönen Medium macht.
Womit ich zum Abschluss noch einmal auf ein Angebot der Freie Universität hinweisen möchte, die es als Elite-Uni wohl für ihre Pflicht hält, immer gern gefragte Experten an die Medien zu verschachern. Mit nur einem Klick findet man hier Menschen, die sich mit Halloween/Reformationstag, Legionellen oder dem Versuch eines Regierungswechsels in Hessen auskennen. Das erspart die lästige Recherche und verleiht auch noch die Aura des Wissenschaftlich-Seriösen. Zum Thema Internet sitzen allein zwölf Wissenschaftler in den Startlöchern - Herr Wickert, übernehmen sie.
Deine Andere

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

JAAA! Das FU-Expertenforum...die von mir hochverehrte Filmprofessorin, der nur der Gedanke an explodierende TV-Geräte ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern vermag, sah darin den Untergang des Elfenbeinturms. Selling out never was that easy, I suppose.

Anonym hat gesagt…

Am meisten Freude bereitete das Forum mir persönlich, als ich feststellen musste, dass sie genannten Experten gar kein Interesse haben, mit der Presse zu sprechen. "Haben sie überhaupt studiert?!" lautete die patzige Eingangfrage, die beweist, dass im Elfenbeinturm Eindringlinge nicht willkommen sind.

Anonym hat gesagt…

Jaaaaa... ich erinnere mich daran, wie es in einem Seminar mal von einer Professorin erwähnt wurde... und sie war nicht zufrieden. Sehr sympathisch wie sie ihre kamerageilen Kollegen verachtete...

Anonym hat gesagt…

Im Gegensatz zu den Journalisten, die eigentlich alle nur Prominente treffen wollen, hegen die FU-Experten wohl den Wunsch, selbst prominent zu sein. Der oben Genannte wünschte zumindest, "seinen" Artikel per Post zugestellt zu bekommen. Was, wenn es sich dabei um eine gängige Praxis handelte, die Verlage in eine noch viel größere Krise beförderte, und außerdem die Unprofessionalität des Experten offenlegte: Ob Herr Sauer wohl alle Artikel, in denen Angie genannt ist, ausschneidet? I don't think so...

Anonym hat gesagt…

Naja, er wird aber auch nicht als Experte befragt, oder? Und das meine ich durchaus vorwurfsvoll. Das schreit nach einer Homestory!

Anonym hat gesagt…

Ich würde ihn sofort als Experte befragen - zum Thema... ach, eigentlich zu jedem Thema: Mehr Aufmerksamkeit durch Dschungelshows, Begleitprogramme für mitreisende Ehefrauen, Belästigung vor der Haustür durch Jacques Palminger.