Sonntag, 2. November 2008

Wie die Blinden von der Farbe

Liebe Andere,
Ich habe kein Problem damit, wenn mir jemand sagt, er sähe die Hauptfunktion des Internets darin, Pornographie und selbstreferenzielles Geschwätz von Narzissten zu befördern. Ich habe nur ein Problem damit, wenn derjenige erstens so tut, als sei es im Print anders, zweitens denkt, seine Berichte über Kaninchenzüchterschauen in der westfälischen Provinz seien systemstabilisierend für eine Demokratie und drittens noch niemals zuvor selbst im Internet war.
Sie hielten Browser für Badezimmerarmaturen und google für Hexenwerk, die versammelten Printjournalisten, mit denen wir uns kürzlich viel Unsinn und manch Erhellendes über die Zukunft des Journalismus in Zeiten des Internets anhören mussten. Im Grunde genommen hätten wir schon misstrauisch werden müssen als uns die Moderatorin dieser Posse als "Online-Redakteurin UND Journalistin" vorgestellt wurde, also als eine Art Dr. Faust, deren Gretchen die anwesenden Print-Journalisten waren, denen vor einigen Dingen mehr graute als nur Heinrich (oder, Bauer-sucht-Frau-sprech "Heinerich, Heinerich"):
Sie haben Angst davor, dass "lange Stücke" nicht "laufen" (als ob sie sowas schreiben würden) und vor der "Beschleunigung" der Berichterstattung durch diese vertrackte Eigenschaft des Internets, keinen Redaktionsschluß zu kennen, sie verachten die "unseriösen" Klickstrecken mit den 10 teuersten Promischeidungen und sie fragen sich, "wer eigentlich diese Blogger sind", die aus purer Lust am Schreiben und publizieren schreiben und publizieren.
Diese Fragen, im Duktus diffamierend, drehen sich im Grunde genommen immer nur um einen Kern: "Mit welchem Recht?" Mit welchem Recht hat das Internet eine solche Macht erlangt, dass wir nicht umhin kommen, uns damit auseinanderzusetzen, wo wir uns doch liebend gerne 30 Jahre lang auf das, was wir an unserer Journalistenschule über den szenischen Einstieg gelernt haben verlassen wollten und um Gottes Willen nichts mehr dazulernen. Mit welchem Recht rüttelt das Internet an redigierenden Instanzen und lässt sowas wie Bürgerjournalismus zu, wo doch jeder weiß, dass einzig und allein das stimmt, was in der Zeitung steht, und zwar in der Druckausgabe, das hat man schließlich auch gelernt an der Journalistenschule. Mit welchem Recht haben andere Spaß im und am Internet während wir gerade mal Mails checken können ohne einen Systemabsturz zu verursachen? Mit welchem Recht bilden sich Online-Redakteure ein, sie seien etwas anderes als ein technischer Dienstleister, der das Printangebot mittels Zauberei namens html ins Internet hievt? Mit welchem Recht finanziert der Print das defizitäre Internetangebot einer Zeitung?
Zumindest letztere Frage glaube ich beantworten zu können, ohne mich im Ton zu vergreifen: Der Print finanziert das Internet, weil es die Zukunft der Veröffentlichung sein wird, jenseits von Professionalisierungsgrenzen und der Arroganz "gelernter" Journalisten, die nie begriffen haben und nie begreifen werden, dass ihre Berufsbezeichnung ohnehin nie geschützt war. Es passiert vielleicht langsamer als erwartet aber es passiert: Die Werbeerlöse wandern ins Internet ab. Und dann ist jeder Print-Journalist gut beraten, seine idiotische Ablehnung, die nichts anderes ist als Schwellenangst, abzulegen um seinen Beruf, der in erster Linie medienunabhängig im Publizieren besteht, weiter ausüben zu können. Wer darauf keine Lust hat, dem empfehle ich einen Umzug nach China oder in den Iran, da geht man mit dem Internet so um, wie es der Print hier gerne hätte.
Ich weiß, dass du erwartest, dass ich noch erwähne, WO die Posse sich abspielte: Ja, es hieß "Stiftung für die Freiheit", (wobei das offenbar die Freiheit, im Internet zu publizieren ausschließt, aber anyway) und Nein, Wolfgang "Smiley" Gerhardt war nicht am Start, auch nicht der Erfinder des Schuhsohlentattoos Guido W. :




Dafür der großartige Stefan Niggemeier, den ich vorher mochte und nun verehre, so profund und wahr sprach er über Blogs, die sein Leben "bereichern". Für die Katz war das Ganze also nicht, und wenn wir nur dort waren, um zu lernen, dass Springer verstanden hat, was Internet ist und schockierend-kompetente Redakteure bezahlt, Kampagnenjournalismus ins 21. Jahrhundert zu transferieren und seinen verständnislosen Print-Kollegen davon zu erzählen.

Drängt sich am Ende folgende Frage auf: Wenn Springer es verstanden hat und nutzt, heißt das, das Internet gehört doch dem Teufel? Ich harre deiner Antwort.

deine sozial inkompetente Unqualitäts-Nichtjournalistin namens Eine

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Amen. Ich verehre Dich für diese kompetente Zusammenfassung einer Zusammenkunft mit den Menschen, die ich als Internetjunkie und Vertreterin der intelligenten Arroganz lieber doch nicht als Kollegen bezeichnen möchte. Davon abgesehen kann ich nicht glauben, dass der Internetflüsterer von Springer seine Karriere ebenfalls bei der Westfalenpost begann und dann für ein Volo in eine als Provinz empfundene Stadt verschickt wurde. Ich sollte mir sofort die Haare nach hinten gelen und mich vom Mitbewohner mit dem fetten 5er-BMW durch die Dutschkestraße vors Springerhochhaus chauffieren lassen. Wo ich vermutlich sofort mit dem fauligen Gemüse aus dem Kühlschrank meiner kleinen Schwester zu werfen begänne. Blame my taz-socialisation for it! By the way: Morgen Bauern-TV?

Anonym hat gesagt…

Die Bauern muss ich leider auf rtlnow nachholen, zusammen mit der letzten Folge der Effenbergs, deren heutige Ausgabe zu Gunsten der bescheuerten Formel 1 meinen Sonntag nicht verschönern konnte. Ich muss eine soziale Echtverabredung wahrnehmen, was ich angesichts der begrenzten Zahl von Bauernfolgen und dem überfälligen Auftritt des "ehrlichen Rinderwirts" ehrlich bereue. Verdammte Nichtfernsehwelt. Der 5er BMW...vielleicht könnte ER uns Zugang zum Bundespresseball verschaffen. Einfach vorfahren und dicke tun. Wie es sich für Journalisten gehört.

Peter Hogenkamp hat gesagt…

Lieblingsstelle: «Sie haben Angst davor, dass "lange Stücke" nicht "laufen" (als ob sie sowas schreiben würden).»